In der 4. Herstellungsphase wurde die Bronzescheibe am Rand, mit allen dort angebrachten Goldbögen, in etwa gleichen Abständen durchlocht. Da keine eindeutigen Gebrauchsspuren nachzuweisen sind, ist der Sinn für die Löcher nicht mehr ersichtlich und es wird derzeit angenommen, dass sie dazu dienten die Himmelsscheibe möglicherweise einfach auf einem Untergrund, wie Leder oder Holz, zu befestigen, um eine Verwendung als Standarte zu ermöglichen. Es kann sein, dass ein Horizontbogen schon fehlte, als die Löcher am Rand der Bronzescheibe eingeschlagen wurden, um Verwechslungen bei den verschiedenen Zählrhythmen zu vermeiden.
Die Löcher am Rand der Himmelsscheibe könnten aber auch für Markierungen, durch Fäden, Draht oder Zeichen am Rand, genutzt worden sein, um die Tage und Mondmonate eines Sonne-Mond-Jahrs zu zählen. Sie sind durch die Horizontbögen in 9, 11, 9, 10 Einheiten eingeteilt:
9 + 11+ 9 = 29 Tage eines Mondmonates; 11 + 9 + 10 = 30 Tage eines gerundeten Monates; 9 + 10 = 19 = der Mentonischen Mondzyklus; oder in Reihe 9, 10, 9, 9, 10, 9, 9, 10, … die räumliche Verschiebung der Mondknoten in 18,6 Jahren, an die die Finsterniserscheinungen gekoppelt sind; sowie 11 zusätzliche Tage vom Mondjahr bis zum Sonnenjahr.
Die Zeit von 12 Lunationen oder synodischen Mondmonaten zu 29,5 Tagen ist ein Mondjahr. Es ist mit etwa 354 Tagen 11 Tage kürzer als ein Sonnenjahr mit 365 Tagen. Wenn beide Jahre an irgendeinem Tag, beispielsweise am 1. Januar, gleichzeitig beginnen, so endet das Mondjahr bereits am 20. Dezember und das Sonnenjahr am 31. Dezember. Am 21. Dezember beginnt dann der 13. Mondmonat, der am 19. Januar endet. – Ein Ausgleich beider Jahre entsteht hierbei erst wieder nach einer Periode von 33 Sonnenjahren.
Wollte man mondgebundene Opferfristen oder Feiertage mit der Jahreszeit in Beziehung halten, so verlangte dies, statt des freien Mondjahres ein, an das Sonnenjahr, gebundenes Mondjahr, das nach 12 Mondmonaten durch eine Schaltung der 11 Tage ausgeglichen wurde.
Die Wintersonnenwende wurde schon vor der Bronzezeit groß gefeiert. Beispielsweise sind in der Kreisgrabenanlage von Goseck / Sachsen-Anhalt, die um 4800 v.Chr. errichtet wurde, zwei große Toröffnungen zur auf- und untergehenden Sonne am Tag der Wintersonnenwende ausgerichtet.
Zudem erscheint für diese Interpretation der Himmelsscheibe ein Kalenderbeginn zu jenemTermin durch die vorherigen Erkenntnisse zum Sonnenbogen wahrscheinlich, da die Mitte des Bogens etwa die Mitte des Jahres anzeigt. Und es ist einfacher am Anfang eines >Lochabschnitts< zu beginnen, als in der Mitte.
Deshalb legen wir für den nachfolgenden Zählkalender den Kalenderbeginn, wie heutzutage, auf den 1. Januar.
Am ersten Tag stecken wir eine rote Nadel in das erste Loch, unten am noch vorhandenen Horizontbogen. Jeden Tag wandert die Nadel ein Loch weiter hinauf. Nach diesen 9 Tagen folgen die 11 Tage um den Sonnenbogen und wieder 9 Tage den fehlenden Horizontbogen hinunter. Da aber ein Monat 29,5 Tage hat, müssen wir zusätzlich zur Nadel vom 29. Tag mit einer blauen Nadel, am bisher ungenutzten unteren Rand mit den 10 Löchern, den fehlenden halben Tag festhalten. Für einen ganzen Mondmonat stecken wir nun eine grüne >Monatsnadel< in das erste Monatsloch, links nach dem oberen Ende des goldenen Horizontbogens.
Jeden 2. Monat werden, nach 29,5 Tagen, die zwei blauen Nadeln der halben Tage entfernt und als zusätzlicher Tag gezählt. Der 2., 4., 6., 8. und 10. Monat hat also 30 Tage, wodurch die Lichterscheinungen des Mondes immer gleich bleiben. Es ist also auch möglich Vollmond, Halbmond oder Neumond im ersten Monat mit einer eigenen Markierung zu versehen, da sie für ein Sonnenjahr gültig bleiben.
Auf diese Weise setzen wir die Nadeln weiter bis die Monatsnadel im elften Loch steckt und 6x 29 + 5x 30 Tage, also 324 Tage, vergangen sind. Unser 21. November wäre damit der Beginn des 12., des dunkelsten, Monats.
Da aber für den zwölften Monat kein Loch mehr in der Nähe des Sonnenbogens vorgesehen ist, werden einfach 30 Tagen zuzüglich der 11 fehlenden Tage zum Sonnenjahr zusammen gezählt. Für diese 41 Tage bieten sich zwei Steckmöglichkeiten an. Entweder zählen wir die Monatstage zuzüglich des 30. Tags, wie gewohnt und ergänzen die 11 Monatslöcher als Tage. Oder wir folgen dem westlichen Ende des äußeren Kreisbogens des Sonnenbogens über die dunkle Scheibe zum unteren Ende des westlichen Horizontbogens. Dort zählen wir zuerst die 10 dunkelsten Tage am unteren Rand der Bronzescheibe in Richtung Sonnenaufgang, wandern 9 Tage lang den Morgendämmerungsbogen hinauf und beenden den Monat mit den 11 Tagen oberhalb des Sonnenbogens. Der letzte Tag der Mondmonate entspricht bei dieser Zählweise der Wintersonnenwende, von dem aus die 11 zusätzlichen Tage zum Sonnenjahr noch einmal beim Sonnenbogen gezählt werden. An diesen Tagen könnte die Vollendung des Jahres und der Sieg der Sonne über die Dunkelheit gefeiert worden sein. Vielleicht wurden diese Feiern durch Opfergaben begleitet, in Dankbarkeit für das letzte und mit Bitten für das neue Sonnenjahr. Nach den Feiertagen wurden die Tage wieder länger. Die Sonne hatte über die Dunkelheit gesiegt! Die 11 zusätzlichen Tage können dem alten oder dem neuen Jahr zugerechnet worden sein. Entweder begann das neue Jahr zur Wintersonnenwende oder am >1. Januar<.
Dieser Steck- oder Zählkalender könnte im neuen Jahr zur Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche auf seine Richtigkeit überprüft worden sein, denn zu den Äquinoktien ist der tägliche Abstand der Sonnenauf- und Untergänge am Horizont am größten und die Sonne geht genau im Osten auf und im Westen unter.
Professor Alexander Thom hat bei astronomischen Untersuchungen von mehr als 300 steinzeitlichen Anlagen herausgefunden, dass viele Steinanlagen vor allem zur Zeit der Tag-und-Nacht-Gleichen eine überraschende Genauigkeit aufweisen. Die Visierrichtungen sind nämlich nicht auf den rechnerischen Wert Deklination 0° ausgerichtet, sondern um rund 1/2° daneben, weil dann erst die Sonne überm Horizont gesehen werden konnte.
Da das Sonnenjahr aber 365,2422 Tage (365 Tage, 5 Stunden und 49 Minuten; also fast 6 Stunden oder die Zeit zwischen zwei Sternenzeigern der Sternenuhr) dauert, wird dem genauen Beobachter bei der Kalenderprüfung an den Gleichen nach vier Jahren vermutlich eine Verschiebung um einen Tag aufgefallen sein. Diese 1 – 4 Jahre könnten ebenfalls mit einer eigenen Markierung festgehalten worden sein, so dass jedem 4. Jahr noch ein Tag hinzugefügt werden konnte.
Auch diese Vermutung glaubt Alexander Thom durch die Ergebnisse seiner Auswertungen untermauert.
Alle Randlöcher der Himmelscheibe wurden mit einem bronzenen Meißel eingeschlagen und haben etwa den gleichen Abstand zueinander. “Nur ein Loch am unteren Rand (hier durch eine blaue 9 markiert) fällt aus der Reihe. Dieses Loch scheint eher aus zwei einzelnen und sehr kleinen Einschlägen zu bestehen, die auch nicht kreisrund sind, wie die anderen Löcher. Das größere Loch hat eine gerade Kante, deren Verlängerungslinie ungefähr auf die Mitte des goldenen Sonnenbogens am >Juni-Loch< hinweisen könnte (Beginn eines reinen Sonnenjahres? Siehe Stonehenge!) Auch ist der Abstand zum benachbarten Loch (Nr. 8) besonders groß, so dass es eher zum goldenen Horizontbogen tendiert” (Gränzer; [1]).
Nun könnten wir mutmaßen, dass vielleicht in Loch 9 die zwei zusätzlichen halben Tage zum 29,5 Tage dauernden Mondmonat markiert wurden. In jedem 2. Monat wurden diese Markierungen aufgelöst und in Loch 10 als ganzer Tag gezählt, der vor den neuen Monat eingeschoben wurde. Dieser zweimonatige Zähl- oder Markierungsvorgang könnte dann entsprechend durch das Jahr wiederholt worden sein, damit die Lichtgestalten des Mondes immer gleich, und nicht bis November um 5 Tage versetzt, erschienen.
Als die Menschen losgelöst von den Himmelserscheinungen, nur noch durch Abzählung von Tagen das Jahr berechneten, werden vermutlich viele verschiedene Rechenbeispiele aus der Kombination von Mond- und Sonnenerscheinungen entwickelt worden sein. Dies mag über viele Generationen funktioniert haben, bis schließlich doch ein Tag zu viel oder zu wenig war und der Kalender, in dem Fall die >rechnerische< Zeit, nicht mehr zu den Jahreszeiten passte und korrigiert werden musste.
Folgende babylonische Schaltregel ist für den mitteleuropäischen Sternenhimmel der Bronzezeit anerkannt:
Rahlf Hansen (Planetarium Hamburg) vermutet, dass mit der Himmelsscheibe eine Verknüpfung von Mond- und Sonnenkalender mit Hilfe eines Schaltsymbols erfolgt: „ … Ein Sonnenjahr dauert 365,2422 Tage und ein Mondjahr ist 11 Tage kürzer als das Sonnenjahr. Um zu verhindern, dass das Jahr durch die Jahreszeiten >wandert<, schaltete man aber keine Tage, sondern Monate ein. In frühen Zeiten erfolgte diese Schaltung wenn der Kalender zu weit aus dem Takt war. Die Schaltregel mit der dicken Mondsichel bei den Plejaden war damals ein schönes Schaltsignal. Es wurde also nicht nach einer festen numerischen Regel geschaltet, sondern nach >Sicht<.
Die Himmelsscheibe zeigt eine Darstellung des Mondes bei den Plejaden. Der Mond steht im Frühjahr bei Neulicht als sehr schmale Sichel bei den Plejaden. Durch die Differenz von Sonnen- und Mondjahr wird bei Zählung der Monate die Sichel im Laufe der Jahre im März bei den Plejaden immer dicker. Auf der Scheibe findet sich eine Darstellung dieser >zu dicken< Mondsichel bei den Plejaden. Dies ist ein Zeichen, dass ein Monat hinzuzufügen ist. In Mesopotamien war es damals der Februar, der verdoppelt wurde (wann bei uns geschaltet wurde ist unbekannt). Statt, wie wir es gewohnt sind, in vier Jahren einen Schalttag einzufügen, wurde so ca. alle drei Jahre ein ganzer Schaltmonat eingefügt” (Hansen; [2]).
[1] nach Gränzer Harald. Das goldene Tor der Ekliptik. http://www.analogika.info/nebra/interpret.html
[2] Hansen, Rahlf. Die astronomische Deutung der Himmelsscheibe. http://www.planetarium-hamburg.de/sterne/nebra/
Weiterlesen unter Kreisgrabenanlagen: –>Stonehenge
Denn diese Steinanlage könnte auch als ähnlicher Zählkalender zur Voraussage von Finsternissen verwendet worden sein.