Das horizontale Koordinatensystem der Frühbronzezeit und die Plejaden

Schon die Astronomen der Frühbronzezeit scheinen die Auf- und Untergänge einiger heller Sterne des Tierkreises beobachtet zu haben. Ebenso könnten sie den Bogenlauf von Procyon gekannt haben, dessen Umlaufbahn nahe und parallel zum Himmelsäquator verlief und somit die Himmelsphäre etwa halbierte. Wie diese Interpretation vermuten lässt, könnten sie außerdem durch gleichzeitig kulminierende Sterne den Nordpol und den Nordpunkt bestimmt haben sowie an der fiktiven Verbindungslinie, dem Meridian, die Höhe der Zirkumpolarsterne über dem Horizont vermessen haben. Es sieht sogar so aus, als hätten sie die Höhenwinkel der Sterne über dem Südpunkt vermessen oder abgezirkelt, was die Darstellung mit den 3x 30 Gradsegmenten vermuten lässt. — Für die goldenen Kreiselemente haben sie vermutlich eine Art Zirkel verwendet, so exakt sind sie.

Es fällt auch nicht schwer anzuehmen, dass die damaligen Sternenkundigen einen Kreis am Boden in 30°-Winkel eingeteilt haben könnten, um ein einfaches Kreisobservatorium zu erhalten. Die lotrechte Stellung eines Sterns könnte an dessen Rand vermerkt worden sein. Der Norden war möglicherweise der Nullpunkt und der ideale Zeitpunkt um jeweils einen Viertel Himmelsausschnitt der Region zu untersuchen, wenn einer der vier Sternenzeiger über dem Nordpunkt stand.
Auf Grund all dieser Vermutungen, die wir durch die vorangegangene Interpretation der Himmelsscheibe von Nebra gewonnen haben, könnte man den Eindruck bekommen, als konnten sie, wie wir, die Lage eines Sternes bestimmen, indem sie den Abstand vom Nordpunkt (= Azimut; heutzutage aber vom Südpunkt aus) und die Höhe über dem Horizont (= Altitude) als Winkel vermessen (Das horizontale Koordinatensystem).

Da der Sonnenauf- und Untergang am Frühlingsäquinoktium auf jeden Fall besonders beobachtet werden musste, wird wahrscheinlich ebenfalls aufgefallen sein, dass mit den ersten hellen Sternen Procyon aufging. Sein Winkelabstand zum Horizont betrug in dem Moment fast exakt 60° und er ging fast an derselben Stelle wie die Sonne unter. Die Sonne stand wie immer zu der Zeit in demselben Tierkreisbild und an dem Tag folgte sie sogar dem imaginären Himmeläquator, bis sie um die Mittagszeit den Kreuzungspunkt mit der Ekliptik durchquerte!

Eine Idee: Um diesen unsichtbaren Kreuzungspunkt von Äquator und Tierkreis genauer definieren zu können, müsste man die Zeit von Sonnenuntergang bis Sternenaufgang ermitteln und reproduzieren können. Diese relativ kurze Zeitspanne lässt sich beispielsweise durch ein Lied oder eine andere routinierte gleichmäßige Tätigkeit eingrenzen. Wenn Procyon dann im nächsten Jahr etwa 70° über dem Horizont stand, wiederholte man die gleiche Tätigkeitseinheit und von der neuen Position des Sterns trug man mit dem Zirkel 60 Grad in Richtung Westen ab. Dort auf der anderen Seite des Zirkels, lag damals, etwas unterhalb der Plejaden, der sogenannte Frühlingspunkt.
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er 7. Stern in der Sechseckkonstellation der Bronzescheibe sollte vermutlich eher auf den einzigen Sternenhaufen hinweisen, bei dem damals der unsichtbare Frühlingspunkt lag! Außerdem waren die Plejaden in vielen Zeiten und Kulturen ein sehr bekanntes Sternbild. So markierten sie laut Wolfhard Schlosser um 1600 v.Chr. durch ihren tagesscharfen, letztmaligen Abenduntergang am 25. März und den erstmaligen Morgenuntergang am 31. Oktober bäuerlicher Termine im Jahreslauf (Daten nach julianischen Kalender; Schlosser 2010). Und er hat auf die Möglichkeit hingewiesen, dass anhand der Plejadenstellung, ober- oder unterhalb des Sichelmondes, eine Mondfinsternis vorhergesagt oder mit Sicherheit ausgeschlossen worden sein könnte (Schlosser 2008). Rahlf Hansen erkannte in der Stellung der Plejaden neben der Mondsichel eine mehrfach verschlüsselte babylonische Schaltregel, die den Mond- mit dem Sonnenkalender synchronisierte.

Doch es ist unerklärlich warum die Plejaden auch das Siebengestirn genannt werden. Denn mit bloßem Auge kann man entweder nur sechs oder neun Sterne erkennen! Also stammt der Name Siebengestirn vielleicht aus der Frühbronzezeit? – Ähnlich könnte es sich mit dem Stern Vega verhalten, der auch den Namen Südstern trägt, obwohl er im Norden zu sehen ist.