Außer den Plejaden können scheinbar keine weiteren Sternbilder zugewiesen werden
Laut Wolfhard Schlosser (Ruhruniversität Bochum) entspricht die einzige Sternenkonstellation, die 7er Sternengruppe der Himmelsscheibe, den Plejaden. Zudem sei die Anordnung der anderen Sterne keine reine Zufallsverteilung, sondern sie erfolgte relativ gleichmäßig und daher bewusst. „Die sieben eng zusammenstehenden Sterne stellen mit großer Wahrscheinlichkeit die Plejaden dar. Die übrigen ursprünglich 25 Sterne dagegen können keinen konkreten Sternbildern zugewiesen werden. … Wie umfangreiche statistische Test ergaben, achteten die Scheibenkünstler noch stärker als die Versuchspersonen auf ausgewogene Distanzen zwischen den Sternen (Schlosser, 20051Schlosser, Wolfhard (2005). Die Himmelsscheibe von Nebra – Astronomische Untersuchungen. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 44).
Ebenso zeigt die Verlegung eines Sternes durch die später ergänzten Horizontbögen eindeutig, dass die Verteilung der Sterne bedeutungsvoll ist. Dieser Stern diente nach meiner Interpretation auch dazu eine imaginäre Horizontlinie zwischen dem Ost- und dem Westpunkt zu definieren. Außerdem gehören die östlichen und westlichen Sterne, wie wir später sehen werden, zu verschiedenen Tierkreissternbilder.
Plejaden dienten zur Bestimmung des Zeitpunktes von Aussaat und Ernte
„Der sternbildfreie Himmel betont das einzige auf der Scheibe angebrachte Sternbild, das Siebengestirn der Plejaden, das zwischen Sichel und Vollmond steht, umso stärker. Die bei Hesiod erwähnte Bedeutung der Plejaden für die Bestimmung des Zeitpunktes von Aussaat und Ernte stellt auch im Fall der Himmelsscheibe die überzeugendste Interpretation dar. Sichelmond und Vollmond mit Plejaden stehen jeweils für zwei Daten der Plejadensichtbarkeit am westlichen Himmel, den 10. März und den 17. Oktober. Die astronomische Beobachtbarkeit dieser entscheidenden Rahmendaten des bäuerlichen Jahres waren wahrscheinlich seit dem Beginn der Jungsteinzeit, also fast 4000 Jahre vor der Zeit der Himmelsscheibe bekannt. Allerdings wurde dieses Wissen bildlich erstmals auf der Scheibe fixiert” (Meller, 20052Meller, Harald (2005). Die Himmelsscheibe von Nebra. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 27.).
Plejaden und Mondsichel haben eine kalendarische Funktion
Die Deutungen von Wolfhard Schlosser und Harald Meller wurde durch eine babylonische Schaltregel von Rahlf Hansen (Planetarium Hamburg) erweitert: „Konkret bedeutet die Regel, dass man einen Schaltmonat einfügen muss, wenn man einen Mond sieht, der so dick ist wie die Mondsichel auf der Nebra-Scheibe und nahe den Plejaden am Firmament steht. Damit wurden Sonnen- und Mondjahr in Deckung gebracht, und die beiden Kalendersysteme gerieten nicht aus dem Takt (Meller / Schlosser / Hansen, 20053Meller, Harald / Schlosser, Wolfhard / Hansen, Rahlf. Scheibe von Nebra war erste astronomische Uhr).
AID-Magazin: Die Himmelsscheibe von Nebra – eine Gebrauchsanleitung
„Die abstrakten Darstellungen auf der Scheibe sind außergewöhnlich, weil sie jahrzehntelange präzise Himmelsbeobachtungen und einen hohen Abstraktionsgrad voraussetzen, den man bislang bei bronzezeitlichen Menschen außerhalb der Hochkulturen im Vorderen Orient nicht vermutet hatte. Außerdem lassen sie Rückschlüsse auf das bronzezeitliche Weltbild zu: Wie eine Kuppel wölbt sich der Himmel über eine flache Erde” (Arche Nebra, 20234Kulturbetriebe Burgenlandkreis, gelesen am 28. März 2023).
Plejaden und Hyaden bilden das goldene Tor der Ekliptik
Harald Gränzer hat in seiner Theorie >Das goldene Tor der Ekliptik< folgende Überlegung: „Auf der Himmelsscheibe von Nebra sind wenigstens zwei Sternbilder zu erkennen, und zwar die Plejaden sowie die Hyaden. Sie bilden das Tor der Ekliptik, durch das im Laufe der Zeit alle Wandelsterne passieren” (Gränzer5Gränzer, Harald. Das goldene Tor der Ekliptik. www.analogika.info/nebra/interpret.html).
Die 7er Sternengruppe der Himmelsscheibe scheint eher das Wintersechseck und einen Planeten zu symbolisieren
Auf der Himmelsscheibe von Nebra könnte anstelle der Plejaden auch ein Sechseck neben dem Meridian und etwa in der Mitte ein weiterer Stern zu sehen sein. In der Spitze erscheint der Stern CAPELLA aus dem Sternbild Fuhrmann. Darunter folgen CASTOR / Zwillinge und ALDEBARAN / Stier. Zwischen diesen beiden Tierkreissternbildern verläuft die, in der Computerkarte rot dargestellte, Ekliptik. In ihrer Nähe ziehen alle Planeten, der Mond und auch die Sonne ihre Bahnen. Der mittlere, siebte Stern wäre demnach eher ein Planet und nicht der Stern Beteigeuze aus dem Orion sein. Als nächstes sind darunter die Sterne PROCYON / Kleiner Hund und RIGEL / Orion zu sehen, während SIRIUS / Großer Hund die südliche Spitze bildet.
Noch einmal zur Erinnerung: In der stereographischen Computerkarte stimmen die Winkel der Sternbilder, aber dafür leider nicht die Abstände. Diese Entfernungen zwischen den Sternen werden zum Rand hin immer größer. Das liegt daran, dass hier ein dreidimensionales Ereignis nur zweidimensional dargestellt wird. Und man muss die Karte so drehen, dass sich die Himmelsrichtung, die man betrachten möchte, unten befindet.
Es ist verblüffend wie sehr sich die Winkel der sechs Sterne in der Computerkarte der Sechseck -Konstellation der Himmelsscheibe ähneln! Diese auffällige Übereinstimmung untermauert unsere vorherige Annahme, dass dort das südliche Himmelsgewölbe abgebildet wurde.
Wie wir später sehen werden, handelt es sich aus mehreren Gründen tatsächlich um das Wintersechseck, da es zusammen mit einer Dreiecks-Konstellation und Sternenzeigern aus Zirkumpolarsternen eine einmalige Sternenuhr bildete.
Eine absichtlich erzeugte Doppeldeutigkeit – Die 7er Sternengruppe der Himmelsscheibe
Es scheint als wenn die Ansammlung aus goldenen Sternenapplikationen gezielt zwei Deutungsmöglichkeiten anzeigen soll: Einmal das bekannte Siebengestirn, die Plejaden und gleichzeitig das große Wintersechseck. Dabei wird vermutlich der Stern in dessen Mitte einen Planeten symbolisieren. Aber vielleicht sollte dieser zugleich auch auf die bedeutungsvollen Plejaden hinweisen.
Die PLEJADEN, wie auch der Stern Procyon aus dem Wintersechseck, befanden sich in der Frühbronzezeit leicht nördlich des Himmelsäquators. Daher könnten beide durch ihre Parallelbahnen ungefähr dessen Verlauf oder die Mitte zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre markiert haben.
Zugleich zogen die sie nahe der Ekliptik dahin, weshalb sie auch deren Verlauf gekennzeichnet haben könnten. Das bedeutet, dass die PLEJADEN fast in einem der beiden Kreuzungspunkte von Himmelsäquator und Ekliptik standen, nahe dem sogenannten Frühlingspunkt.
Diese Erkenntnisse ließen sich mit etwas Übung an der Frühlings-Tag-und–Nachtgleiche überprüfen. An jenem Tag wanderte die Sonne 12 Stunden lang neben dem Siebengestirn und in jenem Kreuzungspunkt über den Taghimmel. Sie ging genau am Ostpunkt auf und am Westpunkt unter. Man brauchte also nur die benachbarten Sternbilder zu beobachten, die vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang über dem Horizont sichtbar waren. Anhand dieser Reihenfolge war es leicht den Stand der Sonne neben den PLEJADEN zu definieren.
Aber natürlich konnte man den kleinen Sternenhaufen, da er der strahlenden Sonne zu nahestand nicht in Wirklichkeit sehen. Denn die lichtschwachen Plejaden sind laut Prof. Wolfhard Schlosser erst sichtbar, wenn diese 5° über und die Sonne 15° unter dem Horizont steht. Dafür zeigten sie den Beginn und das Ende des bäuerlichen Jahres an, wenn sie innerhalb von nur zwei oder drei Tagen im Dämmerungslicht am westlichen Horizont unsichtbar wurden. Nach unserem Kalender wäre dies um den 10. März und 17. Oktober (Schlosser, 20086Schlosser, Wolfhard. Die Himmelsscheibe von Nebra – Astronomische Untersuchungen. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 46.).
Schlussfolgerung
Somit könnte in der Frühbronzezeit die Ekliptik, der Himmelsäquator und sogar der Frühlingspunkt, der Kreuzungspunkt dieser beiden Großkreise, bekannt gewesen sein.
Weiterlesen: So heißen die Sterne vor den Horizontbögen der Himmelsscheibe
- 1Schlosser, Wolfhard (2005). Die Himmelsscheibe von Nebra – Astronomische Untersuchungen. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 44
- 2Meller, Harald (2005). Die Himmelsscheibe von Nebra. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 27.
- 3Meller, Harald / Schlosser, Wolfhard / Hansen, Rahlf. Scheibe von Nebra war erste astronomische Uhr
- 4Kulturbetriebe Burgenlandkreis, gelesen am 28. März 2023
- 5Gränzer, Harald. Das goldene Tor der Ekliptik. www.analogika.info/nebra/interpret.html
- 6Schlosser, Wolfhard. Die Himmelsscheibe von Nebra – Astronomische Untersuchungen. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber Harald Meller. Seite 46.