Warum die Himmelsscheibe beerdigt wurde

„Als ältestes mögliches Datum für die Herstellung der Himmelsscheibe erscheint uns der Beginn des 2. Jahrtausends, die Zeit der Mitteldeutschen Fürstengräber, plausibel. Die maximale Nutzungsdauer hätte etwa 400 Jahre, die minimale etwa 100 Jahre betragen. Unstrittig ist, dass die Himmelsscheibe zusammen mit den Beifunden um 1.600 v.Chr. deponiert wurde. In den Schwertgriffen von Nebra fanden sich Reste von Birkenrinde aus dem 16.- 15. Jh. v.Chr. Ihr Alter konnte mit Hilfe der Radiocarbonmessung recht genau bestimmt werden” (Meller, 2005; [1]).
Basierend auf neuesten bergbauhistorischen Beobachtungen ist die Herstellung der Scheibe frühestens zwischen 1.750 und 1.700 v.Chr. anzusetzen. Daher dürfte die Himmelsscheibe maximale 200 Jahre im Umlauf gewesen sein” (Meller, 2010; [2]
).
„In der Bronzezeit vor rund 3600 Jahren verfinsterte eine Aschewolke nach einer Eruption auf der Mittelmeerinsel Thera (Santorin) den Himmel bis nach Mitteleuropa für 20 bis 25 Jahre. Während dieser Zeit wurde es ein bis zwei Grad kälter. Diese Veränderungen haben die Himmelsscheibe von Nebra für die Menschen wertlos gemacht, vermuten Forscher der Universitäten Mainz und Halle” (Stern;
[3]).
„Die weit gespannten Kontakte der Fürsten von Leubingen und Dieskau waren möglicherweise dergestalt, dass sie selbst in Griechenland Streitwagen sahen und am Euphrat Astronomen trafen und Herrscher mit goldenen Waffen bewunderten. Den legendären Thera-Ausbruch hätten sie vielleicht nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigener Anschauung gekannt. Für die zeitgleichen mitteldeutschen Schwertherren der beginnenden Mittelbronzezeit aber war dies eine ferne, fremde Welt” (Meller, 2013; [4]
).
Doch vermutlich hatten weder der oder die Besitzer der Himmelsscheibe die Bedeutung der goldenen Elemente vergessen, noch hatte ein Vulkanausbruch ihre Glaubenswelt so erschüttert, dass sie die Himmelsscheibe entweihten und beerdigten. Sondern nach meiner Theorie hatten die Astronomen eine großartige Perfektion erbracht, indem sie über Generationen hinweg die Gestirne in all ihren Bewegungen erkannt und sie genial mit nur minimalen Elementen in einer so wertvollen Scheibe verschlüsselt präsentierten. Bis schließlich, was für sie vermutlich voraus zu sehen war, der Bildinhalt der Scheibe nicht mehr mit der Himmelsmechanik übereinstimmte.
Zum Zeitpunkt der Beerdigung der Himmelsscheibe passten die zeitlichen Erscheinungen und Beziehungen der Sterne sowie deren möglichen Bedeutungen möglicherweise nicht mehr genau zu den Sternensymbolen der Himmelscheibe.

„Nehmen wir an, ein Stern steht zu Frühlingsbeginn genau im Frühlingspunkt. Wenn die Sonne nach 365,2422 Tagen wieder zum Frühlingspunkt kommt, ist zwar ein tropisches Jahr vollendet, aber sie findet den Stern nicht mehr genau an der gleichen Stelle vor. Sie muss auf ihrer Laufbahn ein winziges Stückchen, etwa 1/36 ihres eigenen Durchmessers weiterlaufen, um ihn zu erreichen. Dazu benötigt sie nur 20 Minuten. Eine kleinste belanglose Verschiebung ist eingetreten. Das sogenannte siderische Jahr ist 0,0142 Tage länger als das tropische Jahr. Immerhin bedeutet das in einem Menschenleben unserer Zeit bereits eine Verschiebung um etwa zwei Sonnendurchmesser.
Da die Fixsterne und ihre Sternbilder gegeneinander unverrückbar erscheinen, weist die Verschiebung eines einzigen Sternes oder Sternbildes am Erdhorizont und zum Sonnenlauf, mit seinen Sonnwend- und Tag-und-Nacht-Gleichen-Punkten, auf eine gigantische Umschwungbewegung des ganzen Himmels hin. Sie wandern in dem erhabenen Rhythmus des platonischen Weltenjahres, der etwa 26.000 tropische Sonnenjahre umspannt, einmal rückläufig (d.h. gegen die Bewegungsrichtung der Planeten) rund um die ganze Erdbahn” (Bühler, 1978; [5]).

Alle 4 Sternenzeiger Sternenuhr

Der Schöpfer der Himmelsscheibe hatte einen Mechanismus entdeckt, mit dem er das an sich schon großartige Ereignis von zwei zeitgleichen, markanten Sternenauf- und Untergängen verknüpfen konnte: eine komplette Sternenuhr.
Das ganz besondere an dieser Uhr war, dass im ersten Himmelsviertel die >Zeigersterne< Vega und Deneb, im Zweiten Procyon und Altair, im Dritten Deneb und Spica sowie im Vierten Altair und Procyon, jeweils in Horizontnähe standen. Die Sterne begrenzten, in Kombination mit den beiden großen Ost-West- und Nord-Süd-Konstellationen der Himmelsscheibe, vier größtmögliche >Himmelsfenster< mit jeweils exakt 6 Stunden Zeitabstand!! Es sind 4 komplette Himmelsansichten räumlich und zeitlich exakt abgesteckt!
Somit konnte der Schöpfer der Himmelsscheibe von Nebra der Nachwelt einen ziemlich exakten Zeitpunkt hinterlassen, wann die Scheibe hergestellt wurde. Von 1.950 bis 1.600 v.Chr. hatten sich die vier >Himmelsfenster< mit der Sternenuhr verschoben und auch ein Teil der Ekliptiksterne und der Nordzeiger wurden in ihren Verwendungen ungeeigneter.
Der helle Zirkumpolarstern Vega näherte sich dem Horizont und wenn ein Höhenzug Richtung Norden war, könnte er sogar unterläufig geworden sein, da er schon bei nur 0,03° Altitude sichtbar war. Doch am meisten fiel die Präzession an der zeitlichen Verschiebung der tagesscharfen erstmaligen oder letztmaligen Erscheinung eines Sternes auf. Auf der Himmelsscheibe von Nebra könnte eine solche auffällige zeitliche Verschiebung für die beiden Sterne Hamal und Spica sowie Altair und Procyon in Frage kommen. Denn sie standen um 1.600 v.Chr. 1 – 2 Grad höher bzw. niedriger über dem Horizont als noch um 1.950 v. Chr. Beispielsweise fiel 1.800 v.Chr. laut Burkhard Steinrücken der heliakische Untergang von Altair fast exakt auf den astronomischen Winteranfang (heutzutage 21. Dezember). Wenn nun an diesem zeitscharfen Termin ein Feiertag festgemacht worden war, dann wäre die Präzession nicht unbemerkt geblieben.- Und auch der Stern Kocab vom Nordzeiger war in diesem Zeitraum etwa 1 Grad weiter östlich verschoben worden.

An dieser Stelle wird nun deutlich, dass der Himmel anscheinend insgesamt als dreidimensionales Gewölbe wahrgenommen wurde und nicht in den Blickrichtungen Norden und Süden getrennt beobachtet wurde. Die Nord- und Südansichten dienten vermutlich lediglich dazu die vielen Informationen zu sortieren und verständlich darzustellen.

All das konnte aber nur beobachtet werden, wenn die Aunjetitzer in Mitteldeutschland schon einen Kalender mit einem Schaltsystem hatten, wo das Jahr nicht durch die Jahreszeiten wanderte, sondern jeder Jahrestag immer wieder einem gleichen >Zähltag< zugeordnet wurde.

Die Herstellung und Nutzung der Himmelsscheibe betraf nur noch relativ wenige Generationen. Die Anbringung der goldenen Elemente, in technisch unterschiedlichen Herstellungsphasen, wird derzeit jeweils einem oder mehreren neuen Besitzern zugeordnet, aber inhaltlich sind diese Phasen miteinander verbunden. Die astronomischen Inhalte werden komplettiert und sind nicht in Vergessenheit geraten. So müssen die Horizontbögen von Anfang an geplant gewesen sein, da sich vom Mittelpunkt der Kreisscheibe zu den Enden der Horizontbögen die Mondwenden erschließen. Der Sonnenbogen der 3. Fassung markiert durch die Verbindungslinie zwischen seinen Enden die Lage des Nordpols aus der 1. Fassung. Die Lochanordnung der 4. Phase scheint das Thema der Mondwenden aus der 2. Phase weiter auszubauen, da hier deren Zeitspanne hinterlegt wurde und der Zählkalender vereint die Sonnen- und Mondbewegungen. Zudem befindet sich das Juni-Monatsloch in der Mitte des Sonnenbogens. Hielt man am Deponierungsort der Himmelsscheibe, auf dem Mittelberg, die Scheibe horizontal, konnte man das nördliche Ende des fehlenden Horizontbogens auf den Brocken ausrichten, der als Sichtachse die Sommersonnenwende anzeigt und hinter dem Kyffhäuser ging die Sonne am 1. Mai unter (Schlosser, 2004).

Durch die Präzession stimmten die zeitlichen Erscheinungen und Beziehungen der Sterne sowie deren möglichen Bedeutungen irgendwann nicht mehr genau mit der Himmelscheibe überein.
Mit dem heliakischen Untergang der Plejaden, der um 1.600 v.Chr. tagesgenau an der Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche eintrat, hatte die Sonne den zentralen Bereich des Stieres verlassen. Vielleicht begannen die Priester von da an die Religion langsam umzugestalten, indem sie neue Zeremonien und Symbole zu Begrüßung des Widders in ihre rituellen Handlungen einbetten, damit ein sanfter Übergang stattfand. (mehr dazu: Wurde die Himmelsscheibe auch beerdigt, weil mit dem Wechsel des Tierkreiszeichens die alte religiöse Ära endete?)
In diesem Zusammenhang könnte dann auch die Himmelsscheibe, auf der die Plejaden als einzige markante Sternengruppe zu erkennen war, rituell beerdigt worden sein.
Die Darstellung der Plejaden auf der Himmelsscheibe von Nebra könnte also einerseits die Zugehörigkeit zur entsprechenden religiösen Ära kenntlich machen und andererseits auf den relativ kurzen Nutzungszeitraum hinweisen, in dem sich der Frühlingspunkt in direkter Nähe oberhalb dieses Sternhaufens befand.
Zudem war das Wissen um die Himmelsmechanik heilig und in der Frühbronzezeit vermutlich auch als einmalig, nahezu perfekt, erkannt worden, so dass solche Ungenauigkeiten nicht geduldet werden konnten. Die letzten Besitzer der Scheibe drückten in der Beerdigung des Sternenbildes noch einmal ihre Achtung vor dem Himmel aus, indem sie unter anderem ihre wertvollsten Waffen beilegten, so als würden sie einen Fürsten in höchsten Ehren beisetzen. Es war ein letztes Zeichen ihrer Dankbarkeit und Ehre, vielleicht auch in der leisen Hoffnung den Himmel gnädig zu stimmen, dass er weiterhin die Geschicke der Menschen positiv leiten möge.
Die Himmelsmechanik wird den Astronomen vertraut gewesen sein und sie werden diese für sich vermutlich auch auf vergänglichem Material aufgezeichnet haben, so dass sie beruhigt die unvergängliche Bronzescheibe bestatten konnten.
Vielleicht durfte auch auf keinen Fall ein Normalbürger hinter diese kostbaren Geheimnisse kommen, die ihre Machtposition sicherten. Und deshalb wurde die kostbare Himmelsscheibe fürstlich beigesetzt, damit keine bildlichen Aufzeichnungen gefunden und möglicherweise erkannt werden konnten. Das Geheimwissen könnte von da an nur noch mündlich weitergegeben worden sein, bis es schließlich, wie so oft in der Geschichte, doch ganz vergessen wurde.


[1] Meller, Harald. 2005. Der geschmiedete Himmel. Der geschmiedete Himmel. Herausgeber: Harald Meller. Und www.lda-lsa.de
[2] Meller, Harald. 2010. Nebra: Vom Logos zum Mythos – Biographie eines Himmelsbildes. Der Griff nach den Sternen. Internationales Symposium in Halle (Saale) 16. – 21. Februar 2005; Band 1/2010: Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle: Seite 62.
[3] Warum das Kultsymbol entweiht wurde. Himmelsscheibe von Nebra: Stern.de 10. August 2010
[4] Meller, Harald. 2013. 1.600 – Kultureller Umbruch in Schatten des Thera-Ausbruchs? – 4. Mitteldeutscher Archäologentag vom 14. – 16. Oktober 2011 in Halle; Band 9/2013: Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle: Seite 523.
[5] Bühler, Walther. 1978. Geistige Gründe der Kalenderordnung.